Baugeschichte

historisches

Die Marienkirche zu Segeberg

Baugeschichte (12. – 20. Jahrhundert)

 

Die Gründung des Stiftes

Mit der Bezwingung der heidnischen Slawen in Wagrien und Polabien jenseits des dichten Grenzurwaldes „limes saxoniae“ und der Eingliederung ihrer Gebiete in das christliche Holstein im „Heiligen Römischen Reich“ entstanden seit der Mitte des 12. Jahrhunderts die Voraussetzungen für die Entstehung großer Kirchenbauten im Osten Nordelbiens.

Auf den Rat des Missionars Vicelin ordnete Kaiser Lothar III. 1134 zunächst den Bau einer Grenzburg auf dem Kalkberg an. Mit dem Fortschritt des Burgbaus erging zwei Jahre später gleichfalls seine Anweisung zur Gründung eines geistlichen Stiftes mit einer Kirche. Spätestens 1137 trafen dann die ersten Mönche des Augustiner-Ordens am Kalkberg ein und erbauten unter primitivsten Bedingungen in der unwegsamen Wildnis ein erstes Bethaus und weitere hölzerne Klosterbauten. Doch bereits bei einem ersten slawischen Überfall 1138 wurde alles wieder zerstört, und die Augustiner waren zur Flucht nach Neumünster gezwungen. Nach der erneuten Eroberung Wagriens kehrten sie zurück und errichteten neue Bauten, nun auf dem sicheren Westufer der Trave in Högersdorf. So blieb das Stift beim nächsten Überfall slawischer Reiterscharen auf die kleine Handwerkersiedlung am Kalkberg bereits 1147 für dieses Mal verschont.

 

Der Bau der romanischen Basilika

Nachdem die Kalkbergsiedlung 1156 zum Bischofssitz bestimmt wurde, begannen die aus Högersdorf zurückbefohlenen Chorherren um 1156/57 mit der Errichtung neuer Klostergebäude und einer riesigen dreischiffigen Kreuzbasilika im spätromanischen Stil. Aufgrund des in Norddeutschland naturgegebenen Mangels an Feldsteinen führten die christlichen Mönche auch hier nun die innovative Technik der Ziegelsteinherstellung ein. Die notwendigen Tonvorkommen waren in transportfähiger Nähe westlich des Bauplatzes reichlich vorhanden; ebenso standen in den umliegenden Waldungen große Holzbestände, mit der Nähe des Segeberger Sees reichlich Wasser und für die Herstellung des Verbundmörtels Gipsgestein des Kalkberges nahezu unbegrenzt zur Verfügung.

Eine 1192 ausgestellte kaiserliche Urkunde belegt die Unterstützung des noch laufenden Bauprojektes. Doch schon 1199 wurde die Kirche „eccl. S. Maria“ genannt, was auf eine erfolgte Weihe des inzwischen weitgehend fertiggestellten Baus hinweist. Mit der Übernahme des Gemeindegottesdienstes von der (älteren) Marktkirche St. Johannes nach 1216 darf ein vorläufiger Abschluss des Bauvorhabens angenommen werden. Nach rund 60 Jahren Bauzeit waren nun alle für den Gottesdienst der Chorherren notwendigen Einrichtungen entstanden: ein Querhaus mit zwei östlichen Nebenapsiden, der östliche Chor mit der Hauptapsis und drei Joche über dem westlichen Hauptschiff.

Grundriss Marienkirche nach Adam

 

Mit der Segeberger Marienkirche war in Nordelbien erstmals der Bau einer Basilika vorgesehen, dessen Innenraum mit Gewölben und Wandpfeilern von Beginn an einen einfachen Stützenwechsel in Doppeljochen (gebundenes System) aufweisen sollte und der auf die Anordnung einer Folge von Kreuzgewölben zwischen Gurt- und Schildbögen ausgerichtet war. Die für Nordelbien erstmals angewandten Gewölbeabschlüsse der Segeberger Marienkirche sind somit sogar älter als diejenigen des 1173 begonnenen Lübecker Doms. Als letztes der bauzeitlichen Gewölbe ist bis heute dasjenige über dem Vierungsquadrat erhalten, das eine kuppelartige Form mit ansteigenden Scheiteln, abgeflachter Spitze und nur ganz schwach ausgebildeten Kreuzgraten aufweist.

Der schrittweise nach Westen erfolgte Bau des Hauptschiffes ist an den wechselnden Formen der dreistufigen Pfeilersockel ablesbar: Während die drei östlichen und damit älteren vierpassförmigen Stützsäulen schräge Sockelabsätze aufweisen, sind die Abstufungen der westlichen (= jüngeren) Säulen mit abgerundeten Formsteinen aufgemauert. Die Kämpfer und Kapitelle der Säulen sind in Gips gearbeitet und wohl erst nach dem Einbau aus festen Stuckblöcken plastisch verziert worden, was die teilweise unfertigen ornamentalen Verzierungen vermitteln. Etliche Baumerkmale (erhöhtes Fußbodenniveau, Abstufungen der Scheidbögen u.a.) betonen aber auch den Bereich des ursprünglichen Priesterraums, der sich mit einem Vorchor vom Ostchor bis zum zweiten Langhauspfeilerpaar erstreckt haben dürfte und der sich damit vom Bereich der Gemeindekirche im Westen des Hauptschiffes abhebt.

Die entstehungszeitlich spätere Ergänzung des Kirchenbaus mit einem Turm und einem breiten Portal im Westen des Baukörpers wird auf das zweite Viertel des 13. Jahrhunderts datiert.

 

Das weitere Ensemble der Kloster-Gebäude und erste Umbauten an der Kirche

Die Stiftskirche St. Marien stand im Mittelpunkt weiterer „klösterlicher“ Stiftsgebäude, die unmittelbar an das nördliche Seitenschiff der Kirche anschlossen und sich darüber hinaus auf dem ausgedehnten Gelände des Augustiner-Chorherrenstiftes erstreckten. Über Baugeschichte und Ausführung dieses umfangreichen Gebäudebestandes sind keine manifesten Zeugnisse überliefert; nur zwei Stiche des späten 16. Jahrhunderts, also aus einer Zeit, als die Anlage durch Heinrich Rantzau inzwischen säkularisiert war, geben den zeitgenössischen Bestand in Gänze wieder.

So ist auf den Kupferstichen von Johann Greve (1585) und von Georg Braun/Frans Hogenberg (1588) deutlich zu erkennen, dass im nordöstlichen Winkel zwischen Ostchor und nördlichem Querhaus der östliche Querarm des Kreuzganges ansetzte. Wenn hier in spätgotischer Zeit die „Johanneskapelle“ als Sakristei und Versammlungsraum der Chorherren eingerichtet wurde, dann kann sie somit nur als Abschnitt des Kreuzganges entstanden sein. Die bis heute in der Nordwand der Kapelle befindlichen Reste einer romanischen Wand – mit hoch liegendem Fenster und Tür – belegen die hier ansetzende zweigeschossige Fortsetzung des Kreuzganges aus älterer Zeit.

3d modell

Bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts war auch der übrige umfangreiche Gebäudebestand aus spätmittelalterlicher Zeit noch vollständig: Der geschlossene, um einen Innenhof laufende Kreuzgang war mit seinem Süd- und Ostgang und mit seiner östlichen Hälfte des Nordgangs eingewölbt, was an den regelmäßig angesetzten Stützpfeilern ablesbar ist. Die westliche Hälfte des nördlichen Kreuzgangarmes hatte dagegen nur eine flache, wohl hölzerne Decke. Diese Hälfte des Kreuzgangarmes könnte das Klosterkapitel (der Versammlungsraum) gewesen sein. Zwischen beiden nördlichen Kreuzganghälften ragt unter einem Querdach ein kapellenartiges – auf beiden Stichen perspektivisch herausgehobenes – Gebäude hervor, möglicherweise das Refektorium. Die Fensterstellung verrät, dass diese Kapelle ein Doppelgewölbe hatte.

Mittels eines überdachten Ganges war diese Kapelle, die für interne gottesdienstliche Handlungen gedient haben mag, mit dem Abthaus verbunden. Das von den Kloster-Bauten abgesonderte stattliche Haus des „weltlichen“ Klostervorstehers war mit einem gotischen, „bürgerlich“ anmutenden Treppengiebel gekennzeichnet.

Zwischen einem schmalen Riegelgebäude Richtung Westen und nördlich am Kirchturm setzte ein hoch aufragender dreigeschossiger Anbau an, der den Chorherren als Wohnung, evtl. mit saalartigen Studierzimmern, gedient haben mag.

Der kleine Giebelanbau an der nordöstlichen Ecke des Kreuzgangs könnte das Necessarium gewesen sein. Mit einer Friedhofskapelle oder Leichenhaus stand an der nördlichen Längsseite des Chores ein weiteres externes Gebäude.

Am Kirchenschiff und am Kreuzgang sind alle Fenster mit rautenförmigen Bleiverglasungen gekennzeichnet, alle übrigen Klostergebäude zeigen dagegen gewöhnliche Fensterkreuze.

Noch etwas weiter abgerückt von der Gesamtanlage gehörten im Norden – schon an der Einfriedung zum Klostergarten – die Klosterküche bzw. das Backhaus und ein aufgebockter Kornspeicher zum Baubestand des Stiftes. Während sämtliche Klostergebäude ohne Schornsteine dargestellt sind und offensichtlich nicht beheizbar waren, ist das Backhaus auf den Stichen dagegen gleich mit bis zu zwei Schornsteinen bestückt.

Nachdem im Süden und Westen die Anlage mit dem Klosterhospital, den Wohnhäusern für Laienbrüder und den Wirtschaftsbauten (mit eigenen Toren und Klostermauern) ihre vollständige Ausdehnung erreichte, wurde im Zuge der Windesheimer Reformen gegen Ende des 15. Jahrhunderts die Trennung der Stifts- von der Pfarrkirche mit dem Erweiterungsbau eines Ostchores ermöglicht. Das Bauprojekt dieses über 22 Meter langen Anbaus entstand in der Amtszeit des Segeberger Priors Albert Wiltink von Bocholt (1471-1472). Nach seiner Fertigstellung ermöglichte es den Chorherren die Einhaltung eines geregelteren Tagesablaufs nach den Windesheimer Vorschriften, wie z. B. die Einhaltung des Stundengebets im nun separaten Chor, dem sogenannten „Mönchsstuhl“. Wohl zur Erschließung des Dachstuhls dieses großen Chores war in der Südost-Ecke des ursprünglichen Chores ein Wendeltreppenturm angesetzt, der unter einem spitzen Helmdach eine „Schülerglocke“ (Spottname: „de bellende voß“) für das angrenzende Schülerhaus im südlichen Querhaus der Kirche trug. Im nördlichen Querhaus hingegen war dem heiligen Antonius als Begründer des Mönchswesens ein besonderer Altar aufgestellt; die drei auf dem Braun-Hogenberg-Stich sichtbaren Fenster im nördlichen Giebel spendeten dem darunter befindlichen St. Antoniuschor Licht. Zur weiteren Ausstattung der Kirche gehörten die Bronzetaufe des Bremer Gießers Gherd Klinge von 1447 und das spätgotische Kruzifix im östlichen Gurtbogen der Vierung.

Eine erste Veränderung des Grundrisses hatte das eigentliche Kirchengebäude bereits mit einer Verkürzung des nördlichen Querhauses auf die Breite des Seitenschiffes und mit dem Einbau einer weiteren Säule in der Flucht des Hauptschiffes erfahren. Doch ist dieser vermutlich in gotischer (= jüngerer) Zeit vorgenommene Eingriff in den ursprünglichen, romanischen Grundriss nicht datiert.

Nach einem Blitzschlag in den Kirchenturm im Jahre 1500 müssen zumindest der wiederaufgebaute Turmhelm, evtl. auch Glockenstuhl und Zwischendecken verändert wiederhergestellt worden sein.

In dem beschriebenen Ensemble der ausgedehnten Stiftsanlage lebten und wirtschafteten die Chorherren nach den Regeln des Augustinerordens seit dem 13. Jahrhundert, verfügten über das Recht der freien Propst- und Vogtwahl und verbanden mit dem liturgischen Dienst sowohl Seelsorge und Mission als auch Hospitalpflege und Armenfürsorge. In einer Schule wurden zudem Priester für die Livlandmission ausgebildet.

 

Kirche und Stiftsgebäude nach der Reformation

Seit den 1520er Jahren predigten in der Segeberger Marienkirche die ersten reformierten Pastoren vor einer lutherischen Gemeinde. Bis zur endgültigen Aufhebung des Chorherrenstiftes 1564 und der Übernahme der Klostergebäude durch den königlichen Statthalter Heinrich Rantzau war das Innere der Kirche noch in zwei voneinander getrennte Bereiche aufgeteilt: Das gotische Ostchor aus dem späten 15. Jahrhundert diente den liturgischen Amtshandlungen der verbliebenen Chorherren, während das westliche Langhaus von der lutherischen Pfarrgemeinde für den Gemeindegottesdienst genutzt wurde. Aus dieser Zeit stammt auch das bis heute erhaltene Epitaph aus Segeberger Gips für Gerhard Walstorp, das Heinrich Rantzau 1562 an der Westwand des zweiten Pfeilers südwestlich der Vierung seinem Großvater mütterlicherseits hat setzen lassen.

Gedenkstein Rantzau von Walstorp

Da der Kirchenvorstand der lutherischen Gemeinde den baufällig gewordenen Mönchschor nicht weiter unterhalten konnte, wurde er 1573 aufgegeben und von dem übrigen Kirchenraum durch ein Gatter abgetrennt. Zuvor musste jedoch der reiche Schnitzaltar von ca. 1520 in den „Vorchor“ Richtung Westen verrückt werden, wo er bis heute steht. Im Jahre 1612 stifteten der Segeberger Amtmann Marquardt Pentz und dessen Ehefrau Anna eine üppig verzierte Kanzel im Stil der Spätrenaissance, die ihren Platz am nordöstlichsten Pfeiler des Hauptschiffes und damit in der Mitte der Gemeinde erhielt.

 

 

Während der ausgedehnte Gebäudekomplex des „Klosters“ im Norden der Kirche bis auf das Abthaus bereits zwischen 1620 und 1630 abgebrochen war, ist der verfallene Mönchschor erst in den Jahren 1654 bis 1657 niedergelegt worden. Die entstandene Öffnung in der Ostwand wurde zunächst mit einer Bretterwand und - offensichtlich aufgrund fehlender Geldmittel - endgültig mit den vorhandenen Feldsteinen und Granitquadern aus dem Fundament des einstigen Ostchores geschlossen. Die in großer Anzahl angefallenen Ziegelsteine sind hier - wie beim vorangegangenen Abbruch der Klosterbauten und 1651 bei der Erneuerung von zwei Mittelschiffsgewölben - anderenorts weiterverwendet worden.

Spätestens um die Mitte des 16. Jahrhunderts existierte eine Orgel in der Marienkirche, was Reparaturauslagen aus den Jahren 1547 und 1549 belegen. Bei einer Renovierung der baufälligen und verstellten Innenräume im Jahre 1684 erhielt die Marienkirche dann wiederum eine neue Orgel.

 

Barocke und andere Umbauten des 18. Jahrhunderts

Wenngleich bereits während des Mittelalters Glocken zum Grundbestand der Segeberger Marienkirche gehört haben dürften, geht das früheste Zeugnis für den Einbau von Kirchenglocken auf das Jahr 1731 mit der 1.300 Kilogramm schweren Bronzeglocke (Ton d’) zurück.

Trotz ständiger Reparaturen - wie z. B. 1715 an der Turmspitze - galt der Kirchenbau in der Mitte des 18. Jahrhunderts als erheblich ruiniert. Bereits vor der barocken Umgestaltung des äußeren Erscheinungsbildes musste 1758 die schadhafte Südwand des Chores komplett neu aufgemauert werden. Im Inneren wurden zwei neue hölzerne Emporen in beiden Querhäusern mit je zwei bzw. vier Bankreihen eingebaut. Im Jahr darauf wurden die gesamten Innenraumwände geweißt und der Fußboden neu gepflastert. Während der laufenden Arbeiten tauchten immer neue Bauschäden auf, so mit einer Rissbildung im stark überhängenden Südgiebel des Querhauses - mit einer Neigung der Mittelschiffswände nach außen und des Turms nach Westen - sowie Schäden in der Dachkonstruktion. Nach Empfehlung des Landesbaumeisters Johann Gottfried Rosenberg aus dem Jahre 1760 wurde das südliche Querhaus durch eine schlichte Verlängerung der äußeren Seitenschiffswand ersetzt; mittig an der Südwand erhielt die Kirche zudem einen barocken Windfang, der fortan den Hauptzugang bildete. Das bisherige Erscheinungsbild der Kirche veränderte sich allerdings nachhaltiger durch den Umbau des bisherigen Kehlbalkendachs über dem Mittelschiff, das 1762 mit verlängerten Schleppdächern über die Seitenschiffe heruntergezogen wurde und dabei die frei sichtbaren Obergadenfenster aufgab.

Die Gewölbe im nördlichen Seitenschiff wurden dagegen erst 1830 abgebrochen und durch eine flache Balkendecke ersetzt, als sich die nördliche Seitenschiffsmauer als marode erwies und neu aufgeführt werden musste.

Als Modernisierungsmaßnahme erhielt die Marienkirche – wohl zum Ende dieses grundlegenden Umbaus zwischen 1758 und 1962 – ein mechanisches Uhrwerk mit Gewichtszügen im Turm eingebaut, das mit Uhrzeigern auf Ziffernblättern erstmals die Uhrzeit in drei Himmelrichtungen anzeigte, dagegen aber wohl noch kein Schlagwerk betrieb.

Massive Bauschäden tauchten auch weiterhin auf: Die Dachkonstruktion, ausweichende Mauern und Setzungen in den Gewölbekappen, die im Ostbereich des südlichen Seitenschiffs bereits zusammengebrochen waren, gaben Anlass zu neuen Plänen. Doch zunächst erfolgten 1845 lediglich die Abnahme des barocken Giebels über der „Schülertür“ im südlichen Seitenschiff und die Reparatur des Giebels im barocken Anbau. Weitergehende Planungen sahen einen grundlegenden Umbau vor, die aus der mittelalterlichen Basilika z. B. einen Saalbau gemacht hätten. 

 

Der neuromanische Umbau, 1863 – 1867

Unter dem schleswig-holsteinischen Bauinspektor Hermann Georg Krüger entstanden ab 1862 Instandsetzungspläne, die den Kirchenbau zugleich in ihre ursprüngliche, romanische Bauweise zurückversetzen sollten. Im Sommer 1863 begannen die Arbeiten mit dem Anbau von regelmäßig verteilten Strebepfeilern an den Seitenschiffen, mit der Freilegung von Fensteröffnungen, dem Wiederaufbau des südlichen Querhausarms, der Belegung des Fußbodens im neu errichteten südlichen Querhausarm mit Wesersandsteinplatten, mit der Entfernung des mittelalterlichen Dachwerkes und der jüngeren Schleppdächer über den Seitenschiffen, und – bei Freilegung der Obergadenfenster – mit der Rückkehr zur basilikalen Gestalt. Ebenso erfolgte der Wiedereinbau sechs neuer Kreuzgratgewölbe im nördlichen Seitenschiff sowie die Neuverblendung sämtlicher Außenmauern und eines Großteils der Innenwände sowie die Neugestaltung aller Fenster. Als Ersatz der bisherigen Holzschindel war eine Eindeckung des Hauptdaches und der Seitenschiffsdächer mit Schieferplatten vorgesehen. Gurtbögen, Gewölbekappen und Stuckelemente erhielten Sicherungen. Im Frühjahr 1864 begannen die umfangreichen Instandsetzungsarbeiten am Turm; hier wurden u. a. alte Anbauten abgebrochen und neue Seitenhäuser mit Pfeilern und Gewölben errichtet. Auf den alten Fundamenten entstand ab 1865 auch wieder ein nördlicher Querhausarm, während die bisherige Abscherung vom Vierungsbereich mit dem Pfeiler und den beiden Bögen abgebrochen wurde.

Im Zuge dieser Renovierungen erhielt der Kirchturm 1865 ein neues Uhrwerk und neue Ziffernblätter. Diese mechanische Uhr betrieb neben den Uhrzeigern nun zugleich ein Stundenschlagwerk, dessen Glocke unter einem kleinen Schutzdach im Turmhelm Richtung Süden saß.

Auch die als Gruft genutzte Johanneskapelle erfuhr 1865 grundlegende Veränderungen: Die unregelmäßig verteilten Strebepfeiler wurden abgebrochen und durch sechs neue ersetzt, das Obergeschoss wurde bis auf die Höhe des Gewölbes abgetragen, die Außenmauern des Untergeschosses neu verschalt und der Anbau mit einem neuen Schieferdach versehen. Anstelle der alten großen Fensteröffnungen wurden in der Kapelle nun neuromanische, kleinere Fenster eingebaut. Die Kirche erhielt im Inneren Windfänge in den Haupteingängen, neue, höher gelegte Fußbodenbeläge, ein neues Gestühl – teilweise mit Köpfen des Kieler Bildhauers Adolph Müllenhoff auf den Wangen – und in beiden Querarmen je zwei übereinander angeordnete hölzerne Emporen. Ende November 1867 waren alle Arbeiten abgeschlossen. 

 

Instandsetzungen und Umgestaltungen, späteres 19. Jahrhundert

Als Ersatz für die Orgel aus dem Ende des 17. Jahrhunderts erlebte die Marienkirche 1873 als krönenden Abschluss ihrer vorangegangenen Erneuerung den Einbau einer neuen Orgel mit einem neugotischen Orgelprospekt aus der dänischen Orgelbauwerkstatt Marcussen & Søn/Abenrade.

Die Instandsetzungsarbeiten hingegen waren nicht von langer Dauer, weshalb bereits ab 1881 neue Reparaturen an etlichen Bauabschnitten der Kirche notwendig wurden, von denen die Erneuerung von acht Gewölben nebst Gurten und Stirnbögen und von Strebepfeilern wohl die gravierendsten waren. 1909 musste gar das gesamte Turmgewölbe herausgebrochen und erneuert werden.

Der 1864 aufgebrachte weiße Innenwandanstrich wich um die Jahrhundertwende teilweise einem ziegelroten Anstrich und 1909 einer dekorativen Ausmalung mit Begleitlinien, Fensterumrahmungen und Bemalungen durch den Segeberger Malermeister Th. Paustian. Im selben Jahr wurden auch die Emporen von 1867 im Querhaus bis auf die untere im südlichen Querhaus wieder entfernt und im nördlichen Querhaus die Nebenräume abgeschert.

Altar Marienkirche

Bereits 1906 wurde abermals ein neues Uhrwerk in den Turm eingebaut, das zunächst auch wieder eine von außen angeschlagene, fest installierte Stundenglocke unter dem äußeren Schutzdach betrieb. Als um 1922 der Stundenglocke eine zweite Viertelstundenglocke hinzugesellt wurde, musste das Schutzdach auf die bis heute beibehaltene Größe verbreitert werden.

 

Umgestaltungen, 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts

Seitdem eine der beiden Bronzeglocken im Turm der Marienkirche während des Ersten Weltkrieges für Rüstungszwecke abgegeben werden musste, stand der Gemeinde bis zur Anschaffung einer 3,5 Tonnen schweren Graugussglocke, genannt „Große Bertha“ (Ton h’), und einer dritten, 1.359 Kilogramm schweren Stahlglocke (Ton e’) im Jahre 1927 nur eine einzige Kirchenglocke zur Verfügung.

An die hölzerne Abscherung von 1909 im nördlichen Querhaus wurden vor 1926 Ehrentafeln mit den Namen der Gefallenen des Ersten Weltkrieges montiert. 1930 erhielt der Mittelraum im Untergeschoss des Turmes eine neue durchgehende Gestaltung mit Eichenbohlen. Eine 1927 erstmals vorgenommene Kupferabdeckung des Turmdaches musste 1944/45 für Kriegszwecke wieder abgenommen und durch eine Holzschalung mit Dachpappe ersetzt werden. Erst 1950 konnte eine Neueindeckung mit Schieferbehang vollendet werden.

Die Marcussen-Orgel erfuhr im Jahre 1937 erstmals einen Umbau von Karl Kemper aus der Lübecker Orgelbaufirma Emanuel Kemper & Sohn.

 

Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgte 1946 eine Umgestaltung der Johanneskapelle; nach Entfernung der Särge wurden die Einbauten entbehrlich, der Fußboden tiefer gelegt und die größeren Öffnungen der ursprünglichen Fenster wieder eingebaut.

 

Erneute Instandsetzungen und Umgestaltungen in den 1950er Jahren

Seit 1956 stellten sich neue Schäden – Risse und Verformungen – in den Gurtbögen, in den Wänden, Pfeilern und Säulen des südlichen Seitenschiffes und in der südlichen Obergadenwand ein, die so erheblich waren, dass vereinzelt gar Überlegungen zum Abriss und Neubau der Kirche laut wurden. Im Oktober 1957 begannen dann erste Sicherungsarbeiten am südlichen Seitenschiff, am Turm und an der Vierung.

Unter Anwendung eines komplexen hydraulischen Stützwerks konnten anschließend zwei romanische Pfeiler und drei Säulen mit extremer Schrägstellung in der südlichen Seitenschiffswand abgetragen und in ursprünglicher Nachbildung, aber gerader Ausrichtung mit einem Stahlbetonkern neu aufgemauert werden. Für diese Baumaßnahme war die Entfernung der letzten Empore aus dem südlichen Querhaus aus dem Jahre 1865 und die Versetzung des Walstorp-Epitaphs an die Ostwand des südlichen Querhauses vonnöten. Zusätzlich wurden Turm und Kirchenschiff mit 34 versenkten Mauerankern gegen weitere Verformungen gesichert und alle Risse verfüllt, zuletzt die Innenwandflächen vom Zementputz befreit und teilweise mit neuen Ziegeln verblendet.

Im Zuge dieser Instandsetzungsarbeiten wurde das Bodenniveau im Bereich des ehemaligen südlichen Friedhofs wie im Kirchenraum um ca. 70 cm auf das archäologisch festgestellte Ursprungsniveau abgesenkt und mit historischen und neuen Belägen abgedeckt. Jüngere Gruftbauten unter Bodenniveau mussten dabei angeschnitten und anschließend ebenfalls neu überdeckt werden. Die Absenkung des Bodens hatte etliche weitere Anpassungen zur Folge: z. B. die Ergänzung schadhafter Pfeiler und Säulen im Sockelbereich oder die Höhenveränderung von Altar und Kanzel sowie die Aufhängung der Kronleuchter und des Triumpfkreuzes. (Bei der nachfolgenden Restaurierung der Kanzel wurde diese in ihrem Grundbestand verändert.) Ebenso erhielten die teilweise neu aufgemauerten Portale eine neue Gestaltung und neue Türen mit Windfängen. Als Ersatz für das eichene Gestühl von 1866 (mit den geschnitzten Wangenköpfen) erhielt die Kirche ein neues Gestühl, das im Mittelschiff mit seinen durchgängigen Bankreihen nun auf einen Mittelgang verzichtete.

Unter Beibehaltung der weißen Wandflächengestaltung von 1909 verschwanden nun sämtliche Zierlinien, Fensterumrahmungen und Gewölberandbemalungen unter einem neuen Anstrich. Erst Monate nach der Wiedereinweihung der Kirche im März 1959 fand auch der Einbau einer neuen Westempore statt. Die ursprüngliche Marcussen-Orgel mit ihrem ersten Umbau aus dem Jahre 1937 wurde 1959 zum zweiten Mal von der Orgelbauwerkstatt Kemper & Sohn (Lübeck) umgebaut. Dabei bewirkte die Versetzung des Hauptwerkes der Orgel auf der neuen Westempore weiter nach Westen eine Beeinträchtigung der Klangabstrahlung in das Hauptschiff. Eine weitere Folge war, dass die Hauptorgel nun den Weg der Turmuhrgewichte begrenzte und diese aufgrund der verkürzten Aufhängung öfter aufgezogen werden mussten. 1964 wurde das mechanische Uhrwerk daher durch eine elektrische Uhr ersetzt, die bis zum Einbau einer Funkuhr im Jahre 2012 ihren Dienst verrichtete.

Orgelblick Marienkirche 2009

Als im Jahre 1964 der eichenhölzerne Glockenstuhl aus dem Jahre 1866 aufgrund Schädlingsbefalls durch einen Glockenstuhl aus Stahlträgern ersetzt werden musste, wurden zugleich zwei neue Bronzeglocken (eine in Ersatz der inzwischen gerissenen Glocke aus dem Jahre 1927) eingebaut: Seitdem besteht das Geläut der Segeberger Marienkirche aus der Bronzeglocke von 1731 (die während des Zweiten Weltkriegs abgegeben werden musste, aber unversehrt zurückkehrte), aus der „Großen Bertha“ von 1927 und aus den beiden neuen Bronzeglocken von 1964 (Ton e’ und Ton g’). Seit der Kirchenrenovierung in den Jahren 1957 bis 1959 wird das Geläut zudem nicht mehr per Hand vom Läuteboden aus betrieben, sondern über einen Elektroantrieb aus dem Kirchenschiff.

Nach 1960 erhielt auch die Johanneskapelle nach weiteren Instandsetzungsarbeiten eine neue Bestimmung als Tauf-, Trau- und Andachtskapelle. Dafür musste zuvor das flache Pfannendach mit Kupferplatten neu gedeckt, die schadhaften Gewölbe unter Beibehaltung der beiden mittelalterlichen Granitpfeiler und der beiden Schlusssteine neu aufgemauert und einige Innenwände neu verschalt werden. Zusätzlich erhielt die Kapelle in der Spitzbogennische am Nordende der Westwand einen zweiten Zugang mit einem Waschraum und einer Toilette in einem angesetzten kleinen Anbau.

 

Neuerungen an Bau und Einrichtung in den jüngsten Jahrzehnten

Von 1962 bis 1966 musste der gotische Altaraufsatz für eine grundlegende Instandsetzung demontiert und für den Neuaufbau teilweise ergänzt werden.

Aufgetretene Schäden an etlichen Abschnitten der mit Schiefern gedeckten Dächer machte eine Neueindeckung mit Kupferplatten notwendig; 1969 erhielt der Turmhelm eine Kupferblech-Bedachung, und 1971 bis 1972 wurde auch der Schieferplattenbehang des großen Kirchendachs aus dem Jahre 1864 durch Kupferplatten ersetzt.

In den Jahren 1976 und 1984 erfuhr die Orgel weitere Umbauten, die die Werkstatt Hans-Detlef Kleucker (Brackwede) durchführte; die dabei vorgenommene Elektrifizierung wird heute als nicht mehr zeitgemäße Veränderung angesehen und hat dabei den Wert der Orgel in Klang und Bedienbarkeit weiter geschmälert.

Seit 2010 wird die Kirche nun erneut renoviert. Die Bausubstanz ist inzwischen gesichert und auch die Buntglasfenster sind restauriert. Zudem wurde im Zusammenhang mit dem Einbau einer neuen Heizungsanlage dem Wunsch vieler Gemeindeglieder nach einer Wiederherstellung des Mittelganges entsprochen.
Zudem war eine 2014 erfolgte Restaurierung des kostbaren Altarretabels notwendig.

Weitere Innenraumrenovierungen der Kirche wie die Behebung von Rissen und Putzschäden in den Gewölben, die Erneuerung des Farbanstrichs und die Verbesserung der Beleuchtung stehen noch aus.

Sämtliche notwendige Renovierungsmaßnahmen müssen mit dem Einbau einer neuen Orgel abgestimmt werden; der Renovierungsausschuss der Kirchengemeinde, das beauftragte Architektenbüro und der Orgelbauverein koordinieren hierbei die anfallenden Arbeiten.

Nils Hinrichsen 2017

 

Literatur

  • Bernd Adam: Die Baugeschichte der Marienkirche in Segeberg. Zusammenfassung der Baugeschichte. Bauhistorische Untersuchung, Hamburg 2009.
  • Enno Bünz: Zwischen Kanonikerreform und Reformation. Anfänge, Blütezeit und Untergang der Augustiner-Chorherrenstifte Neumünster-Bordesholm und Segeberg (12. bis 16. Jahrhundert), Paring 2012.
  • Dietrich Ellger: Entdeckungen in der Johanniskapelle an St. Marien zu Segeberg., in: Heimatkundliches Jahrbuch für den Kreis Segeberg, Jg. 6, Bad Segeberg 1960, S. 67-70.
  • Dietrich Ellger: Bericht über neue Ergebnisse der Bauforschung des Landesamtes für Denkmalpflege, Zur Marienkirche in Segeberg, in: Nordelbingen. Beiträge zur Kulturgeschichte und Heimatforschung, Bd. 30, Heide in Holstein 1961, S. 152-156.
  • Dietrich Ellger: St. Marien zu Segeberg (Grosse Baudenkmäler, Heft 164), Berlin 1992.
  • Peter Hirschfeld: Bericht des Landesdenkmalamtes für Denkmalpflege Schleswig-Holstein: Marienkirche zu Bad Segeberg, in: Nordelbingen. Beiträge zur Heimatforschung in Schleswig-Holstein, Hamburg und Lübeck, Bd. 28/29, Heide in Holstein 1960, S. 287ff.
  • Carl Friedrich Jaeger: Die Restaurierung von St. Marien zu Segeberg 1957-1960, in: Heimatkundliches Jahrbuch für den Kreis Segeberg, Jg. 5, Bad Segeberg 1959, S. 81-101.
  • Alfred Kamphausen: Die Segeberger Kirche, Bad Segeberg o. J. (ca. 1937).
  • Günter Seggermann: Orgeln in Nordelbien. Orgelbau in Geschichte und Gegenwart unter besonderer Berücksichtigung der historischen Instrumente aus Anlaß des Nordelbischen Orgelfestes 1985.
  • Hans Siemonsen: Die Segeberger Sankt Marienkirche, in: Bad Segeberg in neun Jahrhunderten, Bad Segeberg 1984, S. 63-101
  • Hans Siemonsen: Das ehemalige Augustiner-Chorherren-Stift zu Segeberg, in Heimatkundliches Jahrbuch für den Kreis Segeberg, Bd. 6, Bad Segeberg 1960, S. 27-42.
  • Hans Siemonsen: Die Geschichte der Kirche im Raume der Propstei Segeberg, in: Gemeindebuch Propstei Segeberg, Bad Segeberg o. J., S.13-20.
  • Wolfgang Teuchert: Der gotische Stiftschor der Segeberger Kirche, in: Nordelbingen. Beiträge zur Kunst- und Kulturgeschichte, Bd. 36, Heide in Holstein 1967, S. 7-14.
  • N.N.: Die Orgeln und Glocken der Kirchen in der Propstei Segeberg. Eine Zusammenstellung, in: Gemeindebuch Propstei Segeberg, Bad Segeberg o. J., S. 32-37.

 

Autorenprofil

Nils Hinrichsen, M.A.

  • geb. 1964 in Husum
  • aufgewachsen in Bad Segeberg
  • Studium der Geschichte, Volkskunde u. a. in Kiel, Hannover und Hamburg
  • Langjährige Mitarbeit an zahlreichen Museen, Archiven und Gedenkstätten Hamburgs, Schleswig-Holsteins und Niedersachsens (u. a. Altonaer Museum/Hamburg, Museum der Arbeit/Hamburg, Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte/Oldenburg, Museum für Kommunikation/Hamburg, Staatsarchiv Hamburg, KZ-Gedenkstätte Neuengamme/Hamburg)
  • 2012 - 2020: Leitung des Museums Alt-Segeberger Bürgerhaus/Bad Segeberg.